Klaus' BioLog

Sporteln und Schauen

Artikel vom 24.8.2013

Schilegende Werner Grissmann lästerte einst über Hubertus Hohenlohe: „Der Prinz lässt sich neue Brillengläser geben, damit er mehr sieht von der Abfahrt – er ist ja auch länger unterwegs“.

Eine Zebra- oder Wespenspinne (Argiope bruennichi) beim Einspinnen ihrer Beute.

Es kann sich tatsächlich schon mal lohnen, ein bisschen die Gegend anzuschauen. Vielleicht nicht gerade auf der Streif oder auf dem Weg zum Glocknerkönig, aber sonst ist die Natur für jeden Freiluft-Sportler mehr als nur eine sportliche Herausforderung. Sie ist ein Erlebnis für alle Sinne, ein Abenteuer für Körper und Geist.

Oft geht es beim Sporteln sowieso eher monoton als rasant dahin, etwa beim Grundlagenausdauertraining oder beim langen Zustieg zur Wand. Geradezu ideal, um seine ganze Aufmerksamkeit mal der Natur um sich herum zu widmen. Als mentales Training der etwas anderen Art, wenn man so will. Und weil jedwedes Training immer gern in Stufen unterteilt wird, machen wir das nun auch für die Naturerkenntnis.

Stufe 1: Genießen

Zuerst heißt das mal den mp3-Player ab- und die Sinne einschalten: schauen, lauschen, riechen, schmecken, fühlen. Die Farben des Waldes, das Rauschen des Windes, der Duft des Regens, ... Genießen, staunen und die Seele baumeln lassen. Das Gefühl des Einsseins mit der Natur ist eine der wunderbarsten Entspannungsübungen.

Stufe 2: „Was ist das?“

Wir Menschen sind aber meist eher aktive, neugierige Wesen und finden Entspannen und Einssein auf Dauer ebenso langweilig wie Grundlagenausdauertraining auf dem Laufband. So wird aus dem Schauen bald ein Fragen in der Art: Was ist denn das … und das .. und das?

Gute Antworten hierfür liefern die bunt bebilderten Naturführer, die in keinem Haushalt fehlen sollten. Mit diesen Büchern lassen sich die wichtigsten Arten bestimmen und ein paar Informationen über besondere Merkmale und Lebensweisen gibt es obendrein.

Nur: allein in Österreich gibt es etwa 3900 Pflanzenarten, 45.000 Tierarten und um die 17.000 Pilze, Algen und Flechten.

Alle Arten kennt daher niemand. So sollten auch wir es mit dem Was-ist-das?-Fragen nicht zu weit treiben. Namen sagen auch wenig über die Natur eines Lebewesens aus, eher etwas über die Menschen, die es so benannten. Außerdem ist die korrekte Artbestimmung ohne Mikroskop und umfangreiche Bestimmungsschlüssel meist gar nicht möglich. Die grobe Zuordnung zu einer Gruppe sollte uns reichen, denn es gibt spannendere Fragen.

Eine Schling- oder Glattnatter (Coronella austriaca) frisst eine Blindschleiche (Anguis fragilis). Auf einer Familienradtour gleich neben der Straße in Graz-Gösting von Lara (10) entdeckt.

Stufe 3: „Wie funktioniert das?“

Wenn wir bei einer abendlichen Wanderung in 1800 Meter Seehöhe etwas davon hoppeln sehen und auch noch eine Hasenspur im Schneefeld entdecken, dann wird uns ein guter Naturführer schnell klarmachen, dass wir einem Schneehasen (Lepus timidus) begegnet sind. Denn Feldhasen (Lepus europaeus) und Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) kommen so weit oben nicht vor und weitere Hasenartige gibt es bei uns nicht.

Frage also abgehakt und weiter zur Tagesordnung? Bloß nicht, denn dies ist ein ausgezeichneter Startpunkt sich weiter zu fragen, etwa: Wie schafft es dieses knuddelige Tier das ganze Jahr über hier oben zu leben, wo es die „Krone der Schöpfung“ trotz Funktionskleidung und Zwiebelschalenprinzip gerade bis zur nächsten Schutzhütte schafft?

Auf dieser Stufe geht es also um Anpassungen aus eher technischer Sicht, über die wir sinnieren und diskutieren können. Über Felldichte und -farbe, über Pfoten wie Schneeschuhe, kleine Ohren und große Kälte, Ernährung im Winter und viele andere Dinge, die dem Hasen beim Überleben helfen könnten. Jedenfalls viel Stoff zum Grübeln auf langen Touren.

Stufe 4: Die Fragen nach dem „Warum“?

Die moderne Biologie führt nicht nur Artenlisten und liefert technische Erklärungen für Detaillösungen. Sie interessiert sich auch dafür, warum eine Art hier lebt und nicht dort, warum so und nicht anders; warum es zu dieser oder jener Anpassung kam, welchen Nutzen sie hat und was sie das Lebewesen kostet. Mit diesen Fragen kommt die Evolution ins Spiel, denn – um es mit den Worten des großen Biologen Theodosius Dobzhansky zu sagen: „Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn außer im Licht der Evolution.“

Das soll uns aber nicht abschrecken, sondern im Gegenteil: wir bekommen dadurch eine weitere Dimension für unser Naturbetrachtungen dazu, nämlich die Zeit. Sich diesen Fragen widmen, heißt auf Zeitreisen im Kopf gehen. Bestes Futter für das Gehirn!

Eine spannende Frage zu unserem Schneehasen wäre etwa, warum er sich überhaupt in den Alpen herumtreibt, wo doch seine nächsten Artgenossen so weit entfernt in Skandinavien und auf den Britischen Inseln leben.

Nicht minder spannend ist die Antwort. Der Schneehase ist nämlich ein echter Polarbewohner. In den Eiszeiten rückte er jedoch bis nach Mitteleuropa vor und blieb, als das Eis wieder wich. Mit der Wärme kam aber auch der Feldhase zurück und verdränge den Schneehasen allmählich wieder nach Norden und bei uns rauf auf die Berge, also dorthin, wo das Klima noch so rau ist, dass der polar erprobte Schneehase dem Feldhasen überlegen ist.

Das ist nur eine der zahllosen Geschichten, die die Natur schreibt. Es ist gewiss eine Bereicherung für jede Tour und den Trainingsalltag, ein paar Blicke und Gedanken der Natur zu widmen, auch wenn ein bisschen Zeit dafür draufgehen könnte. Möglicherweise hat auch der eingangs erwähnte Prinz seine neuen Brillengläser tatsächlich mehr für Beobachtungen genutzt, immerhin ist noch ein Fotograf aus ihm geworden.

Für einge Zeit hatte ich eine kleine Kolumne in Österreichs größtem Magazin für Hobbysport SPORTaktiv und schrieb dort über die großen und kleinen Naturwunder, die jeden Freiluftsportler umgeben. Begonnen hat es mit diesem etwas längeren Artikel für die Sonderbeilage "Outdoorguide" der Juni/Juli Ausgabe 2013. Hier ist er in Originalfassung zum Nachlesen ...